Es ist Sonntagnachmittag, strahlender Sonnenschein in Münster, beste Kaffee-Kuchen-Laune – und plötzlich lässt Sie ein heftiger Schlag am Fenster zusammenzucken. Vor dem Fenster liegt der hübsche Buntspecht auf dem Boden, den Sie morgens so gerne vom Küchenfenster aus beobachten. Er rührt sich nicht mehr, scheint aber noch zu leben. Was tun Sie?
Tierarzt? Ja, Notdienst anrufen! Ohje, mit Spechten kennt sich der diensthabende Kollege am anderen Ende von Münster leider nicht aus. Außerdem: Wer den Vogel bringt, zahlt, inkl. Notdienstgebühr!
NABU, BUND & Co.? Am Wochenende selten erreichbar bzw. auch nur bedingt spechtkundig.
Feuerwehr? Nee, nicht zuständig.
Wildtierrettung? Ham wa nicht.
Jägerschaft? Nö, keine jagdbare Art.
Untere Naturschutzbehörde? Behörde! Wochenende!
Inzwischen versucht der Buntspecht am Boden sich irgendwie wieder aufzusetzen. Niemand hat Ihnen bisher gesagt, dass Sie den Specht sichern und ruhig setzen sollen, da Anflugtraumen bei Vögeln oft ein schweres Schädel-Hirn-Trauma verursachen.
Sie erinnern sich an den Zeitungsartikel über das Notruftelefon des Nestwerks und rufen dort an. Die ehrenamtliche Nestwerkerin am anderen Ende der Leitung gibt Ihnen erste Tipps zur Sicherung und versucht gleichzeitig eine Pflegestelle zu finden, die sich mit Risikopatienten wie Spechten auskennt.
Juhu, es wurde eine private Stelle in Rheine gefunden! Sie müssten den Specht allerdings bringen, denn Pflegestellen arbeiten privat und rein ehrenamtlich und können wegen eng getakteter Fütterungszeiten in der Regel nicht auch noch Tiere abholen. Widerwillig stimmen Sie zu. Sie gehen einen Karton suchen, derweil fliegt der Specht mit letzter Kraft in den nächsten Baum und ist für Sie nicht mehr erreichbar.
Am nächsten Tag liegt er tot unter diesem Baum.
Diese kleine Geschichte steht exemplarisch für den täglichen Kampf der Wildtierschützer*innen um das Leben von verletzten und hilflosen Wildtieren.
Grünspechte, Igel, Rehe, Eichhörnchen, Wildtauben, Siebenschläfer … – im Münsterland gibt es eine große Vielzahl an Wildtieren! Sie leben mit uns in den Städten, brüten in hohen Gebäuden, wuseln nachts durch unsere Gärten, drehen ihre Runden auf den Seen und begegnen uns beim Spaziergang auf der Promenade. Doch Wildtiere sind von Natur aus scheu und meiden die Nähe der Menschen, oft sehen wir sie nur, wenn sie Hilfe benötigen.
Die Liste der Gefahren für unsere Wildtiere ist lang und viele dieser Probleme sind menschengemacht: Anflugtraumen durch spiegelnde Glasflächen oder fahrende Autos, Schnittarbeiten von Hecken, Sträuchern und Bäumen, bei denen Nester und Kobel zerstört werden, Schnittwunden durch Mähroboter und Motorsensen, unsachgemäße Vergrämungsmaßnahmen, Klebefallen, Rückgang der Insektenpopulation und damit der Nahrungsquelle vieler Vögel, tödliche Botulismusausbrüche durch sauerstoffarme Gewässer und nicht zuletzt Extremwetterlagen wie starke Regenfälle, Sturmböen und sehr trockene Sommer.
Die Folgen davon sind u. a. Vögel mit schweren Schädel-Hirn-Traumen, Igel mit tiefen Schnittwunden, oft bereits von Fliegenmaden befallen, unterernährte Eichhörnchen, die verzweifelt den Menschen nachlaufen, Enten, die ertrinken, weil das Botulinumtoxin ihre Muskeln lähmt und immer häufiger werden auch Wildtauben mit Luftgewehrgeschossen im Körper gefunden.
Das Notfalltelefon des Nestwerks leistet seit 2015 einen wichtigen Beitrag zum Wildtierschutz in der Region Münsterland. Täglich gehen dort Meldungen zu hilfebedürftigen Tieren in Münster und Umgebung ein. Im Jahr 2020 waren es 938 Anrufe, in den Jahren 2021 und 2022 jeweils um die 2.300! Die ehrenamtlichen Nestwerker*innen beraten beim Thema Erste Hilfe, zur Sicherung des Tieres und können ggf. auch auf eine passende Pflegestelle oder wildtierkundige Tierärzte und Tierärztinnen verweisen, wenn dies erforderlich sein sollte. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass die Entnahme von Wildtieren aus der Natur grundsätzlich nicht erlaubt und je nach Tierart auch anzeigepflichtig sind. Hier ist immer ein Abwägung vorzunehmen, ob ein wirklicher Notfall vorliegt und wer ggf. zu informieren ist.
In den wenigen, ausschließlich privaten Pflegestellen im Münsterland werden jährlich hunderte Wildtiere versorgt. Neben Job, Studium, Kindern und vielen weiteren Verpflichtungen kümmern sich die Päppler*innen ehrenamtlich um verwaiste Vogelbabys, unterernährte Eichhörnchen, verletzte Igel u. v. m. und das teilweise rund um die Uhr, um sie bestmöglich auf eine Auswilderung in ihre natürliche Umgebung vorzubereiten. Das Gros der Pflegestellen kommt dadurch regelmäßig an seine Kapazitätsgrenzen – physisch, psychisch und finanziell. Die Aufzucht eines einzelnen Singvogels kostet bereits ca. 100 Euro und kann so schnell Kosten von mehreren tausend Euro im Jahr bei einzelnen Pflegestellen führen.
WIR setzen unsere Wildtiere diesen Gefahren aus und sind deshalb auch in der Verantwortung, uns um die Folgen zu kümmern!
Um private Pflegestellen zu entlasten und die Wildtierpflege auf noch professionellere Beine zu stellen, fordern wir den Aufbau und Betrieb einer Wildtierauffangstation im Münsterland.